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Abschied von Lucy, unserem treuen, sanften Schaf

 

 

Flackerndes Kerzenlicht im Stall – eine Ausnahmesituation, denn sonst ist Feuer im Stall verboten. Wir haben in einem Kreis auf Strohballen Platz genommen. In der Mitte steht eine Kerze, davor Fotos. Traurigkeit liegt in der Luft, denn wir nehmen heute Abschied von Lucy – einem Schaf, das für seine Zurückhaltung und Vorsicht bekannt war und viel Geduld von den Kindern forderte. Jene Kinder aber, die Ausdauer und Geduld aufbrachten und Lucys Vertrauen gewinnen konnten, erlebten sehr viele schöne Momente mit ihr. Lucy dankte es den Kindern auf ihre ganz eigene Art.

Wir sitzen nun im Kreis um Lucys Bilder und die Kinder können jene Fragen stellen, die ihnen auf dem Herzen liegen. Vergangene Woche war Lucy plötzlich zu schwach um aufzustehen. Ein Transport in das Tierspital der Veterinärmedizinischen Universität war unumgänglich. Lola kam als Begleitschaf mit, um den Stress für Lucy möglichst gering zu halten. Die letzten Stunden in ihrem Zuhause wurde Lucy von den Kindern fürsorglich und liebevoll versorgt.

 

Die Tierärzte kämpften um Lucy, doch konnten sie ihr letzten Endes nicht helfen. Lucy schlief nach wenigen Tagen, in der Nacht von 30. auf 31. Jänner 2012, in der Klinik ein. Das Obduktionsergebnis gab uns die traurige Gewissheit: Lucy erlag einem Tumor, was laut Aussage der Ärzte bei alten Schafen und Ziegen häufig vorkommt.

Die Kinder fragen natürlich auch, was nach ihrem Tod mit Lucy passiert. Die Erklärung, dass es keinen Friedhof für Tiere gibt sondern dass die Tiere verbrannt werden – so wie manche Menschen eingeäschert werden wollen – können die Kinder gut nehmen.

Als alle Fragen beantwortet sind, halten wir eine Schweigeminute zum Andenken an Lucy. Jedes Kind kann Lucy in Gedanken etwas sagen oder gute Wünsche schicken. Susanna, die eine enge Bindung zu den Tieren im Stall hat, sackt in sich zusammen und beginnt zu schluchzen. Ich setze mich hinter das Mädchen und nehme es in den Arm. Auch mir laufen Tränen die Wangen hinunter. Susanna spürt meinen Halt und dass es in Ordnung ist, ihren Gefühlen freien Lauf zu lassen.

In der Trauerarbeit erachte ich es als äußerst wichtig, dass ich meine eigene Trauer nicht vollständig unterdrücke sondern authentisch bin und den Kindern meine Gefühle (und auch Tränen) zeige. Trauergefühle zeigen, dass man zu dem Lebewesen, das gestorben ist, eine innere Bindung hatte. Nur wenn ich den Kindern Trauer vorlebe, lernen sie, ihre eigenen Gefühle zuzulassen.

Ich versuche, den Kindern Rituale zum Umgang mit Trauer näher zu bringen, auf die sie später zurückgreifen können (Kerze anzünden, in Gedanken Wünsche schicken, Fotocollage gestalten, an gemeinsame Erlebnisse zurückdenken,…). Auch ist es für viele Kinder wichtig, ohne Worte ihren Gefühlen Ausdruck zu verleihen – durch Malen. So gestalten wir gemeinsam eine Erinnerung an Lucy.

Nach diesen intensiven und aufwühlenden Minuten ist es wichtig, dass die Kinder wieder zur Ruhe kommen und gestärkt aus der Trauerfeier hinausgehen – und wer wäre hierfür ein besserer Helfer als die Tiere selbst? Ausgiebig wird mit den Schafen und Ziegen gekuschelt und die taktilen Reize (Fell) bringen die Kinder zur Ruhe – immerhin ist schon lange bekannt, dass das Streicheln von Tieren den Blutdruck senkt und beruhigt. Als die Ziegen spüren, dass sich die Kinder beruhigt haben, treiben sie ihre Späße mit den Kindern und bringen sie durch ihre freche Art zum Lachen. Zum Abschluss  sorgen die Tiere so für Aufmunterung – was mir selbst mit einem guten Witz nicht in der Form gelungen wäre.

 

Wenige Tage später spricht mich Susanna auf die Abschiedsfeier an. Obwohl sie erlebte, dass ihre Tränen während der Abschiedsfeier von allen verstanden und akzeptiert wurden, ist Susanna unsicher und meint: „Ab sofort weine ich nicht mehr“. Ich bestärke Susanna, ihre Gefühle zuzulassen und vermittle ihr, dass sie sich nicht schämen muss, wenn sie traurig ist und weint. Und versichere ihr nochmals, dass ich ebenfalls geweint habe, als Lucy starb. Kinder schämen sich oft für ihre Tränen, wenn sie noch nicht sicher genug sind, diese als Teil des Trauerprozesses zu akzeptieren, und fürchten den Spott der Mitmenschen. Nur wenn wir authentisch sind, können die Kinder von uns lernen, Tränen als Ventil der Trauer zuzulassen.

 

Rückblickend erkennen wir, dass Lucy es gespürt haben muss, dass es zu Ende geht, denn sie war in den letzten Wochen deutlich zutraulicher und suchte verstärkt den Kontakt zu uns Menschen. Sie war ein sanftes und dankbares Schaf und wird uns immer in Erinnerung bleiben!!

 

Mag. Bettina Winkelmayer – Sonder- und Heilpädagogin / Schwerpunkt Tiergestützte Pädagogik