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Für Tiere gibt es auch ein Krankenhaus?

 

 

Vor über 10 Jahren entstand die Tierfarm im Europahaus des Kindes. Schon damals war klar, dass die Tiere, die einzogen, auch ihren Lebensabend im Europahaus des Kindes verbringen dürfen. Die meisten unserer Tiere leben seit damals bei uns und haben mittlerweile ein beachtliches Alter erreicht. Nur einige wenige Neuzugänge „drücken“ den Altersdurchschnitt. Von einigen Tieren mussten wir uns bereits verabschieden.

So besteht der Alltag in der Tierfarm auch darin, dass die erforderliche ärztliche Versorgung stetig wächst. Doch trotz verschiedenster Wehwehchen sind die Tiere immer noch motiviert und interessiert am Kontakt zu uns Menschen – und fordern dies auch (teilweise vehement) ein. Eine wichtige Aufgabe besteht nun darin, die Tiere genau zu beobachten und bei Anzeichen von Stress oder Müdigkeit für eine Auszeit zu sorgen. Die Kinder lernen sich in Rücksichtnahme und Verantwortung und übernehmen gerne die Aufgabe, sich um die Tiere zu kümmern, wenn es ihnen einmal nicht so gut geht.

 

Anfang Mai mussten wir unser Lama Picaro auf die Veterinärmedizinische Universität Wien bringen, da er weder Kot noch Harn absetzen konnte und die ambulante Behandlung vor Ort keinen Erfolg brachte. Da Lamas Herdentiere sind und fremde Umgebungen ohnehin Stress für sie bedeuten, wurde Gargamel als Begleitung mitgeschickt. In der Klinik wurden wir bald vor die Wahl gestellt – Einschläfern oder teure Operation – und wir entschieden uns zu kämpfen. Im Juni war die Prognose  noch ungewiss – Picaro hat einen künstlichen Harnausgang bekommen, aber erst in den letzten Juni Tagen sollte  sich zeigen, ob die Operation erfolgreich war.

In regelmäßigen Abständen besuchte  ich die Lamas in Begleitung der Kinder. Anhand der Aufmerksamkeit, die uns bei Betreten des Stalles sofort zu Teil wurde, das nervösen Zappeln von Gargamel und der Begrüßungsgeräusche konnten wir erkennen, dass sich die Lamas über unseren Besuch freuten. Die Kinder konnten Anteil nehmen an Picaros Schicksal und lernen Zusammenhänge besser zu verstehen. Sie konnten  ihn auf seinem Leidensweg begleiten und ihm Sicherheit geben – so wie der Kontakt mit den Tieren ihnen bereits viel Sicherheit und Entwicklungsmöglichkeiten geboten hat. Anfang Juni waren wir erneut auf „Krankenbesuch“ und führten die beiden Lamas eine kleine Runde am Klinikgelände. An diesem Tag schenkten die Lamas den Kindern ein berührendes Erlebnis: Als wir sie zurück in den Stall bringen wollten, haben sie dies verweigert – Gargamel hat sich sogar demonstrativ niedergelegt – als Zeichen, dass wir nicht gehen sollten bzw. dass sie nicht in der Klinik bleiben wollten.

 

Meine Aufgabe bestand in dieser Situation darin, den Kindern das Verhalten der Tiere zu deuten. Im ersten Moment haben die Kinder das Verhalten der Lamas als unartig eingestuft. Diese Unartigkeit hatte jedoch einen tieferen Grund – die Lamas haben uns damit gezeigt, dass sie unsere Anwesenheit sehr schätzen und gerne mit uns mit nach Hause kommen möchten. Dies stellte für die Kinder eine wichtige emotionale Erfahrung dar – haben sie doch vielfach die Erfahrung gemacht, abgelehnt oder im Stich gelassen zu werden. An diesem Tag konnten sie die Verbundenheit der Lamas zu uns spüren, erleben dass jemand traurig ist, wenn sie gehen, dass man gerne bei ihnen ist. Dies sind sehr wertvolle Momente und Erfahrungen für die Kinder, die im Europahaus des Kindes leben!

 

Picaro bekam einen künstlichen Harnausgang  und nach 2 Monaten Klinikaufenthalt konnten wir unsere „Männer“ endlich wieder nach Hause holen. Als der Hänger auf das Gelände fuhr, bildete sich sogleich eine Traube an Kindern, die die Lamas willkommen heißen wollten. Die Lamas wurden in ihren Stall geführt – und fühlten sich sogleich heimisch: sofort wurde ausgiebig gewälzt, ein Grundbedürfnis, dem die Lamas in der Klinik nicht nachkommen konnten, da sie dort in einer Box mit Stroh standen. Aufgeregt erkundigten sich die Kinder, wie es Picaro geht und wir besprachen die körperlichen Veränderungen durch die Operation.

Leider hatten die Lamas während des Klinikaufenthaltes Gewicht verloren, wodurch wir sie langsam „anfüttern“ mussten, d.h. sie bekamen reduzierte Heurationen und die Heumenge durfte nur Schritt für Schritt erhöht werden. Wichtig war auch, die Lamas genau zu beobachten (ob sie trinken, ob Picaro Harn/Kot absetzen kann,…), um bei Problemen rasch handeln zu können. Dies erforderte großes Engagement und eine gute Zusammenarbeit aller Beteiligten – und glücklicherweise erholten sich die Lamas rasch. Picaro hat gelernt, mit dem künstlichen Harnausgang zu leben und scheint sich schon gut daran gewöhnt zu haben, dass der Harn nunmehr aus einer anderen Körperöffnung austritt.

 

Die Kinder haben die Lamas auch schon auf kurzen Spaziergängen ausgeführt und sind darin involviert, die Kondition der Lamas wieder aufzubauen. Dies ist auch deshalb wichtig, da wir im August ein Lama-Projekt geplant haben. 4 Tage verbringen wir gemeinsam mit den Lamas auf einem Hof und werden allerhand erleben. Spaziergänge und Hindernisparcours mit unseren Herren stehen genauso am Programm wie waldpädagogische Elemente, Sinnes- und Naturerfahrungen. Da unsere Lamas nicht mehr die jüngsten sind und Picaro aufgrund einer Beinfehlstellung keine langen Spaziergänge mehr unternehmen kann, wird das Programm sowohl den Bedürfnissen der Kinder aber auch jenen der Lamas angepasst. Ergänzend sind Einheiten mit anderen Tierarten geplant, um möglichst intensive tiergestützte Tage bieten zu können. Wir freuen uns schon auf das Projekt und die Erfahrungen, die wir gemeinsam mit unseren Lamas sammeln werden!

 

 

Text: Mag. Bettina Winkelmayer