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Lamas als Wegbegleiter in der tiergestützten Pädagogik – Bericht von Frau Mag. Kellner

 

 

Als besonderes Unterstützungsangebot für die Kinder und Jugendlichen wurde vor vielen Jahren das Projekt „Tiergestützte Pädagogik“ im Europahaus initiiert, für dessen Umsetzung und Weiterentwicklung ich seit 7 Jahren zuständig bin.

Solch eine langjährige Durchführung der tiergestützten Einheiten ist wertvoll für die Kinder und Jugendlichen im Europahaus des Kindes, da konstante / stabile Beziehungsangebote sehr wichtig für sie sind.

Ich bin Sonder-/Heilpädagogin und Fachkraft für tiergestützte Interventionen. Meine Tätigkeit im Bereich der tiergestützten Interventionen erstreckt sich auf folgende Bereiche: die Arbeit mit traumatisierten / entwicklungsverzögerten Kindern und Jugendlichen im Europahaus des Kindes, tiergestützte Interventionen mit unterschiedlichsten Zielgruppen mit meinen eigenen Tieren in Hollabrunn, die Beratung und Begleitung von Einrichtungen, die den Schwerpunkt „tiergestützte Intervention“ setzen (wollen), Tiertraining sowie Vortragstätigkeiten zu meiner tiergestützten heilpädagogischen Arbeit (u.a. im Rahmen des ÖAKTI Ausbildungskurses).

Die tiergestützte Pädagogik im Europahaus des Kindes ist so konzipiert, dass während des Semesters wöchentliche tiergestützte Einzelförderstunden stattfinden – die Schulferien bieten Raum und Möglichkeiten für Kleingruppenprojekte (wie z.B. das alljährlich stattfindende Lamaprojekt). Folgende Tierarten werden im Europahaus als Wegbegleiter der Kinder und Jugendlichen eingesetzt: Lamas, Schafe, Ziegen, Schweine und seit Kurzem mein Hund, der sich in Ausbildung zum Therapiehund befindet. Schwerpunkt der tiergestützten Pädagogik im Europahaus des Kindes ist soziales und emotionales Lernen, da die Kinder und Jugendlichen in ihren Herkunftsfamilien in diesen Bereichen zumeist nur mangelhaft gefördert wurden.

Die Kinder und Jugendlichen, die im Europahaus des Kindes leben, haben seelische Verletzungen in unterschiedlichem Ausmaß erlebt. Sicherheit und konstante Beziehungsangebote sind wichtig für die Verarbeitung und für die weitere Entwicklung der Kinder. Viele Kinder haben unsichere Bindungsmuster mit ihren primären Bezugspersonen entwickelt, die von den Kindern auf neue zwischenmenschliche Beziehungen übertragen werden – d.h. in Stresssituationen sind sie nicht in der Lage, sich an ihre neuen Bezugspersonen zu wenden. Die Erwartung, dass ihre Wünsche auf Ablehnung stoßen bzw. ihren Bedürfnissen nicht Rechnung getragen wird, ist vorherrschend. Hier können die Tiere im Rahmen der tiergestützten Pädagogik einen wertvollen Beitrag leisten: Mensch-Tier-Interaktionen fördern Annäherung und Vertrauen, während Stress und soziale Ängstlichkeit reduziert werden. Die aktuelle Forschung geht davon aus, dass die Interaktion mit einem Therapietier unsicher oder desorganisiert gebundenen Kindern wesentlich leichter fällt als die Interaktion Mensch-Mensch bzw. dass es überhaupt erst möglich wird, sichere Bindungsangebote von PädagogInnen anzunehmen, wenn Tiere in den pädagogischen Prozess eingebunden werden (Näheres dazu in: Julius/Beetz/Kotrschal/Turner/Uvnas-Moberg: Bindung zu Tieren: Psychologische und neurobiologische Grundlagen tiergestützter Interventionen).

Neue Beziehungserfahrungen, die im Rahmen der tiergestützten Interventionen gesammelt werden, können in weiterer Folge in den zwischenmenschlichen Alltag der Kinder integriert werden. Zu betonen ist, dass diese Beziehungsarbeit ein sehr langfristiger Prozess ist – viele der Kinder nehmen die tiergestützte Einzelförderung bereits seit mehreren Jahren in Anspruch und profitieren von dieser Kontinuität.

Im Umgang mit traumatisierten Kindern sind meiner Erfahrung nach folgende Aspekte zentral:

 

  1. Verstehen der Problematik/des Verhaltens
  2. Sicherheit herstellen – u.a. durch Klarheit und Transparenz, Einschätzbarkeit,…
  3. Stress/Überforderung des Kindes vermeiden
  4. sichere Bindungsentwicklung unterstützen
  5. positive Selbstbilder unterstützen
  6. Ressourcen stärken

 

Als Pädagogin ist von mir ein hohes Maß an Feinfühligkeit und Präsenz gefordert. Ich muss die Signale der Kinder wahrnehmen und richtig interpretieren, um Bedürfnisse wahrnehmen sowie angemessen und prompt reagieren zu können. Diese Feinfühligkeit für die Signale des Gegenübers betrifft gleichermaßen auch meine tierischen Mitarbeiter – auch hier muss ich aufmerksam für auch kleinste Signale sein. Kind wie Tier brauchen im tiergestützten pädagogischen Prozess viel Aufmerksamkeit, Achtsamkeit und Zuwendung. Professionelle tiergestützte Interventionen erfordern demnach noch ein Stück mehr Aufmerksamkeit als pädagogische Prozesse ohne Tier. Diese erhöhte Konzentration sollte nicht unterschätzt werden!

 

In meiner Arbeit mit traumatisierten Kindern ist die sprachliche Interaktion sehr wesentlich. Oftmals ist der Zugang zu den eigenen Gefühlen blockiert, die Kinder sind nicht in der Lage, ihre Gefühlszustände zu verstehen und zu benennen. Hier ist die Versprachlichung der inneren Prozesse förderlich für die Entwicklung der Kinder – das Fühlen und Handeln des Kindes wird von mir in Worte gefasst, Interpretationsmöglichkeiten geboten. Zur Visualisierung von Gefühlen ist die Teilearbeit meiner Erfahrung nach eine vielversprechende Methode, mit deren Hilfe den Kindern ihre unterschiedlichen Persönlichkeitsanteile und Gefühle näher gebracht werden können. Die Persönlichkeitsanteile (auch die ungeliebten, lästigen Anteile) werden benannt und bekommen ihren Platz im Ich – Stärken und Ressourcen werden lokalisiert. Als Unterstützung dieses Prozesses und zur Veranschaulichung thematisieren wir auch immer wieder gemeinsam die Persönlichkeitsanteile einzelner Tierindividuen.

 

Im Kontakt mit Tieren entsteht generell viel Gesprächsstoff – vom Umgang der Tiere untereinander, über Körpersprache/Kommunikation bis hin zur Lösung von Konflikten – all dies sind Themen, die die Kinder aus dem Alltag kennen – über die Tiere können die Kinder neue Lösungsansätze kennenlernen und die Erfahrungen und Aha-Erlebnisse in den zwischenmenschlichen Alltag integrieren.

 

 

Einsatzbereiche unserer Lamas

 

Jede Tierart bietet besondere Einsatzmöglichkeiten im Rahmen tiergestützter Interventionen. Lamas sind Distanztiere – das Erkennen, Einhalten und aber auch Aufzeigen von Grenzen ist ein wichtiger Lerninhalt für die Kinder und Jugendlichen im Europahaus des Kindes, die in diesem Bereich oftmals großen Förderbedarf haben. Die Bedürfnisse der Lamas zu akzeptieren und sie nicht mit Körperkontakt zu „überfallen“, fällt den Kindern und Jugendlichen anfangs sehr schwer. Zu flauschig sieht das Fell der Lamas aus – zu gerne würden die Kinder ihr Bedürfnis nach Körperkontakt erfüllen. Doch mit zunehmendem Verlauf der tiergestützten Einzelförderung lernen die Kinder, ihr Bedürfnis nach Körperkontakt bei anderen Tierarten zu stillen (z.B. bei unseren jungen Schweinen die den Körperkontakt deutlich sichtbar genießen). Die Kinder lernen Interaktionsmöglichkeiten kennen, die die Lamas schätzen und erfahren die neugierige Zuwendung der Lamas.

Das ruhige, zurückhaltende aber neugierige Wesen der Lamas erleichtert gerade ängstlichen / schüchternen Kindern die Kontaktaufnahme. Die klare Körpersprache der Lamas macht die Tiere einschätzbar und gibt Sicherheit.

 

In der tiergestützten Einzelförderung kommen die Lamas in unterschiedlicher Weise zum Einsatz:

 

Bei einem Lamaspaziergang oder dem Führen durch Hindernisse (z.B. Slalom, Labyrinth,…) hindurch werden Koordination, Körperwahrnehmung und Motorik trainiert. Weiters sind die Kinder gefordert ein passendes Timing sowie vorausschauende Handlungsplanung zu entwickeln. Möchte das Lama lieber Gras fressen oder seine eigenen Wege gehen, so ist Durchsetzungsvermögen gefragt, ebenso wie Geduld und Frustrationstoleranz. All diese Kompetenzen können durch die Arbeit mit den Lamas gestärkt werden, indem ich als Pädagogin reflektierend, erklärend, Fragen stellend, die Signale übersetzend unterstütze. Die Tiere zeigen den Kindern sehr deutlich auf, wenn ihr Verhalten Misserfolg oder Erfolg herbeiführt, jedoch braucht es meine Begleitung und Übersetzung, damit die Kinder auch das „Warum“ verinnerlichen.

Der Kontakt zu Lamas bietet die Möglichkeit, das Selbstvertrauen der Kinder zu stärken. Selbstvertrauen erwächst aus der Erfahrung, solch ein großes Tier führen zu können sowie Aufgaben gemeinsam mit dem Lama bewältigt zu haben – indem ich als Pädagogin Erfolge positiv hervorhebe und das Kind in seinem Tun bestätige, kann ich das Selbstvertrauen stärken. In der Arbeit mit den Lamas geschieht sehr viel Beziehungsarbeit. Die Lamas werden von den Kindern versorgt – die Kinder können einmal in die Rolle der Versorger schlüpfen und Verantwortung übernehmen. Mit Fortschreiten der Einzelförderstunden erfahren die Kinder wachsendes Vertrauen der Lamas. Meine Aufgabe besteht hier darin, den Kindern diese Beziehungsqualitäten zu veranschaulichen, da sie diese Aspekte zum Teil noch nicht wahrnehmen können.

 

 

Lamas (1)

Lamas bieten vielfältige Möglichkeiten zur Wahrnehmungsförderung. Taktile Stimulation kann beispielsweise durch Filzen mit Lamawolle oder beim Körperkontakt (beim Füttern, Halftern,…) erreicht werden. Visuelle Wahrnehmung (Raumlage, Figur-Grund-Wahrnehmung,…) kann durch Beobachtungsaufgaben wie auch aktive Aktivitäten  mit den Tieren (z.b. mit Augenklappe) geschult werden. Im Bereich der auditiven Wahrnehmung können im Zusammenhang mit den Lamas beispielsweise Übungen zum Kopfrechnen eingebaut, das Erfassen und Behalten von Aufträgen geübt sowie Richtungshören trainiert werden. Die kinästhetische und vestibuläre Wahrnehmung können vor allem über aktive Tätigkeiten wie z.B. Parcoursarbeit geschult werden.

 

 

 

Lamas (2)

Die Lamas bieten viele Impulse, bestimmte Themen mit den Kindern zu erarbeiten: z.B. Streitkultur/Umgang mit Konflikten, Entstehung von Konflikten (immer stärker werdende Signale bis sie spucken – es wird nicht gleich „gebrüllt“ sondern der Konflikt in steigenden Intensitätsstufen aufgebaut). All dies sind wichtige Themen aus dem Alltag der Kinder – sie können über die Erkenntnisse aus der Lamaherde Strategien in den zwischenmenschlichen Bereich übertragen. Andere Themen wären z.B. Pubertät, gegenseitiger Respekt, schlechte Laune,…

 

Dies war ein Auszug aus den Einsatzmöglichkeiten unserer Lamas. In der Auswahl unserer Tiere haben wir auf ein ausgeglichenes Wesen geachtet. Weiters darauf, dass die Lamas erst mit 10-12 Monaten intensiv an den Menschen herangeführt wurden (um Fehlprägung zu vermeiden). Entscheidend war auch das Verhalten der Lamas in Stresssituationen zu beobachten – hierbei war uns wichtig, Charaktere auszuwählen, die sich in Stresssituationen vorrangig versuchen zurückzuziehen. Lamas, die in den Angriff gehen oder bei Stress sofort mit Tritten reagieren, sind für die tiergestützte Arbeit nicht geeignet.

Das Grundtraining der Lamas umfasst halftern, Berührungen, angebunden werden, Füße heben, Zehennägel schneiden, Führübungen, Spazieren, Parcoursübungen, Gewöhnung an unterschiedliche Geräusche / Objekte / Materialien / Untergründe / Personen / Bewegungen / Verkehr. Wichtig ist mir dabei, behutsam und schrittweise zu trainieren und das Training an das jeweilige Tier und seine Tagesverfassung anzupassen. Das Training sollte ohne Zeit- und Erfolgsdruck, vielmehr mit Ruhe und Humor stattfinden.

 

Denn auch Tiere können schlechte Tage haben – Achtsamkeit und gegenseitiges Vertrauen sind das A und O!